Die Erwählung Marias

a) An verschiedenen Festen der Muttergottes verwendet die katholische Kirche in der hl. Messe das Evangelium von der Verkündigung der Geburt Jesu an Maria (Lk 1,26-38). So dann logischerweise vor allem auch in der hl. Messe vom 25. März, dem Fest Mariä Verkündigung selbst. Dabei vernehmen wir, wie der Erzengel Gabriel bei der hl. Jungfrau Maria eintritt und ihr die Kunde davon bringt, dass sie nach dem unergründlichen Ratschluss Gottes den verheißenen Messias und göttlichen Erlöser gebären soll. Somit steht dieses außergewöhnliche Ereignis der Verkündigung untrennbar mit der Person und Sendung Marias in engster Verbindung, durch welches ihr besonderer und einmaliger Platz im heilsgeschichtlichen Plan Gottes sichtbar wird.
Vielleicht haben wir uns dabei auch in diesem Zusammenhang schon einmal die Frage gestellt, nach welchen Kriterien Gott ausgerechnet Maria zur Mutterschaft Jesu auserwählt hatte. Denn bei manchen Frauen des alttestamentarischen Israel aus dem Stamm David gab es die stille Hoffnung, dass vielleicht die jeweilige von ihnen des Privilegs Gottes gewürdigt würde, dem künftigen Messias das Leben zu schenken. Aber die Wahl fiel dann ja bekanntlich auf Maria. Warum?
b) Nun, wir, Menschen, können natürlich nicht den Ratschluss Gottes in dem Sinn ergründen und begreifen, dass wir ihn sozusagen in allen seinen Einzelteilen ausschöpfen könnten. Der Ratschluss und die Vorsehung Gottes sind und bleiben für uns ein Mysterium, ein göttliches Geheimnis! Somit kann es niemand genau wissen, warum Gott diesem Menschen die eine und einem anderen Menschen die andere Gnade gibt, warum der eine Mensch diese ganz konkrete und der andere eine bestimmte andere Gnade anscheinend doch nicht erhalten habe.
Aber dennoch gibt es gerade im Evangelium von der Verkündigung der Geburt Jesu an Maria einige deutliche Anhaltspunkte, die uns bei aller grundsätzlichen Vorsicht doch auch irgendwie berechtigen, bestimmte nicht ganz von der Hand zu weisende Überlegungen in diesem Zusammenhang anzustellen.
So ist es doch interessant, wie Maria auf das Wort des Erzengels reagierte, der da sprach: “Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Siehe, du wirst empfangen und einen Sohn gebären.” (Lk 1,30f). “Da sagte Maria zu dem Engel: ‘Wie wird das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?’” (Lk 1,34). Der Erzengel Gabriel spricht ja zu Maria eindeutig in der Futur-Form: “Du wirst empfangen”. Somit hätte jede andere Frau an der Stelle Marias, die zum gegebenen Zeitpunkt noch nicht verheiratet gewesen sein sollte, diese Ankündigung wie selbstverständlich so verstanden, dass sie wohl zuerst (in Entsprechung zum Gebot Gottes) heiraten und erst dann, eben in der von Gabriel formulierten Zukunft, jenen Sohn empfangen werde.
Indem aber Maria in ihrer Antwortfrage den konkreten Einwand bringt, sie würde ja keinen Mann (im Sinne der Ausübung der Ehe) “erkennen”, wird erkennbar, dass sie offensichtlich ein Gelübde der Jungfräulichkeit abgelegt hatte. Und zwar tat sie das nicht etwa deswegen, weil sie sich (etwa wegen großer körperlicher Missbildung) keine guten Chancen auf das Finden und Treffen eines passenden Ehepartners ausrechnete, sondern aus religiösen Motiven, um Gottes willen, wegen ihrer Liebe zu Gott!
Ist es also nicht höchst bemerkenswert, dass die Wahl Gottes bezeichnenderweise nicht auf eine Mutter oder auf eine Frau fällt, die in der Zukunft in jedem Fall Mutter werden wollte, sondern ausgerechnet auf eine Jungfrau, die diese Jungfräulichkeit auch in der zukünftigen Ehe mit Josef bewahren wollte. Man beachte dabei auch unbedingt, das offizielle Judentum kannte damals und kennt auch heute immer noch nicht einen religiösen Jungfrauenstand, der auf einem Gelübde der Jungfräulichkeit um Gottes willen gründete. Also trifft die Wahl der Vorsehung Gottes, die Mutter des Messias und Erlösers zu werden, tatsächlich ausgerechnet eine junge Frau, die für sich aus religiösen Gründen auf das große Glück und die tiefe Sehnsucht aller Frauen, Mutter zu werden, ausdrücklich verzichtet hat!
Indem Maria das betreffende Gelübde der Jungfräulichkeit abgelegt hatte, verzichtete sie ja dann logischerweise auch auf eine jegliche Hoffnung, die Mutter des verheißenen Messias zu werden. Und ausgerechnet sie und nur sie allein wird dann nach dem ewigen Ratschluss Gottes sozusagen trotzdem jene Mutter Gottes! Ob da wirklich überhaupt kein Zusammenhang zwischen der inneren demütigen Einstellung Marias auf der einen und der Größe der Gnadenwahl Gottes auf der anderen Seite bestand!?
c) Zumal sich sowohl ihre abgrundtiefe Demut vor Gott als auch die damit verbundene persönliche Bescheidenheit dann auch im folgenden deutlich herauskristallisiert hat. Denn nachdem der Erzengel sie belehrt hatte, dass der “Heilige Geist über” sie “kommen” und die “Kraft des Allerhöchsten” sie “überschatten” wird, und diese gesamte Erklärung mit der Feststellung abgeschlossen hatte: “Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich”, antwortete Maria darauf mit den berühmten Worten, die ihr Wesen und ihre Glaubenshaltung wohl am allerbesten kennzeichnen: “Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort”.
Maria hört also die himmlische Botschaft des Erzengels Gabriel. Sie vernimmt dabei, dass sie die “Gnadenvolle” ist, dass mit ihr “der Herr ist”, dass sie “Gnade bei Gott gefunden” hat. Ihr Sohn Jesus wird “der Sohn des Allerhöchsten genannt werden”, von dem Er “den Thron Seines Vaters David” erhalten wird. Ihr Sohn Jesus “wird über das Haus Jakob herrschen in Ewigkeit, und Seines Reiches wird kein Ende sein.” Da würde es wohl ein jeder Mensch auf die eine oder andere Weise mit der Versuchung zur Überheblichkeit zu tun bekommen. Oder würde sich dabei wenigstens erwischen, auf sich selbst mit einer gewissen Hochachtung oder Bewunderung zu schauen. Zumal wenn solche hohen Auszeichnungen und lobenden Worte ja sogar aus dem Mund eines Engels, Boten Gottes, kommen!
Wie reagiert aber Maria darauf, was antwortet sie? “Da sagte Maria: ‘Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort’”. Das war keine auch nur teilweise wie auch immer künstlich gespielte Frömmigkeit. Sie hat nicht so gesprochen, weil es halt (bei etwas intelligenteren Menschen) angebracht sei, sich vor anderen Leuten doch lieber etwas bescheidener zu geben, damit sie nicht etwa meinten, man sei selbstüberschätzend und überheblich. Nein, bei Maria entsprach das äußere Wort haargenau und voll entsprechend ihrer edlen inneren Einstellung! Sie hat sich wirklich und in aller Aufrichtigkeit ihres lauteren Herzens als „die Magd des Herrn“ gefühlt und empfunden – ohne dass dabei irgendetwas an irgendwelchen schauspielerischen Elementen dabei gewesen wäre.
Ist es angesichts dieser tiefsten und sich selbst aufrichtig verleugnenden Demut Marias wirklich abwegig zu vermuten, das der liebe Gott dann von allen Frauen umso williger gerade sie mit der Gnade der Gottesmutterschaft bedacht hat?
d) Bekräftigen lässt sich diese nicht einfach so von der Hand zu weisende Annahme auch durch die großartige Reaktion Marias auf die lobenden Worte ihrer Base Elisabeth an die eigene Adresse, zu der Maria dann nämlich reiste: “Sie trat in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth.” Elisabeth spürt beim Gruß Marias ihr eigenes Kind, Johannes den Täufer, “in ihrem Schoß frohlocken” und spricht dann zu Maria “vom Heiligen Geist erfüllt”: “Du bist die Gebenedeite unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes! Woher mir die Gnade, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? ... Selig bist du, da du geglaubt hast, dass in Erfüllung gehen wird, was dir vom Herrn verkündet worden ist.” (vgl. Lk 1,39-45).
Maria wird also von Elisabeth in einem höchst preisenden Ton und unter Eingebung des Heiligen Geistes als die Frau bezeichnet, die von allen Frauen am allermeisten den Segen Gottes erhalten hat. Sie bezeichnet es dann sogar ausdrücklich als ein nicht verdientes Privileg bzw. als „Gnade“ für sich, dass „die Mutter meines Herrn zu mir kommt“! Und um dies zu bekräftigen, stellt sie fest, dass sie, Elisabeth, dessen überhaupt nicht würdig ist! Maria wird dann von Elisabeth dafür auch noch mit der sonst von Jesus in der Bergpredigt neun Mal verwendeten und höchstes Lob bedeutenden Auszeichnung „selig“ (vgl. Mt 5,3-12) gepriesen, weil sie nicht an den an sie ergangenen Verheißungen Gottes zweifelte, was für uns, schwache Menschen, nicht nur ziemlich naheliegend, sondern vielleicht sogar typisch ist. Nein, sie, Maria, habe (bereits damals!) ein solches unerschütterliches Gottvertrauen besessen, welches sie befähigte, felsenfest an Sein Wort zu glauben!
Wie soll nun ein Mensch angesichts solcher extrem lobenden Worte nicht wenigstens ein bisschen der Versuchung nachgeben und in die Richtung denken, man sei doch wohl auch in persönlicher Hinsicht irgendwie besonders und herausragend?
„Da sprach Maria: ‚Hoch preist meine Seele den Herrn, und mein Geist frohlockt in Gott, meinem Heiland! Denn herabgesehen hat Er in Gnaden auf Seine niedrige Magd.“ (Lk 1,46-48). Maria lenkt sofort den Blick von sich und ihren eventuell möglichen Verdiensten ab und richtet ihn stattdessen sofort und unmissverständlich auf Gott. Es soll niemand auch nur auf den geringsten Gedanken kommen, als würde sie (oder auch irgendein anderer Mensch) im Mittelpunkt stehen (können), wenn Gott sich offenbart und Sein Heil unter den Menschen wirkt bzw. sich ihrer erbarmt!
Es folgt ein wunderbarer Hymnus, der den ganzen tiefen Reichtum der Gottesbeziehung Marias zum Ausdruck bringt. Ihre „Seele“ lobe in höchsten für sie möglichen Tönen „den Herrn“ und ihr „Geist“ empfinde eine solche aufrichtige Freude beim Erfahren Seiner „Gnaden“, dass sie dafür sogar den geistig sehr intensiven Begriff „Frohlocken“ verwendet, der ein sehr hohes Maß an innerer Begeisterung und aufrichtigem und sich selbst dabei vergessendem Jubel des Herzens beinhaltet!
Und erst dann, nachdem sie die Prioritäten richtig gesetzt und Gott die Ihm zustehende Ehre erwiesen hatte, gab sie in aller Demut und Bescheidenheit - ohne dabei in Stolz und Überheblichkeit zu verfallen – bzw. objektiv und sachlich auch ihren bescheidenen Anteil an der ganzen Angelegenheit zu: „Seht, von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter“ (Lk 1,48). Ja, ihrem nüchternen Verstand ist es sehr wohl bewusst, dass sie eine herausragende und sogar einmalige Rolle in der Heilsgeschichte einnimmt. Deswegen werde sie nun sogar auch „selig gepriesen“ werden von „allen Geschlechtern“.
Aber wiederum schreibt Maria dies nicht den eigenen Leistungen zu - sie präsentiert und inszeniert nicht sich selbst! Ihre Begründung für ihre besondere Position im Heilsplan Gottes liegt wiederum nicht etwa in der Herrlichkeit und Besonderheit ihrer Privatperson, sondern in der unbegreiflichen Barmherzigkeit und geheimnisvollen Unergründlichkeit des ewigen Ratschlusses Gottes: „Großes hat an mir getan der Mächtige, heilig ist Sein Name. Sein Erbarmen währt von Geschlecht zu Geschlecht, für die, die Ihn fürchten“ (Lk 1,49f.).
Allein Gottes Erbarmen, Güte und Gerechtigkeit seien es also, was die Welt sozusagen bewegt und die Menschen – wie sie oben sagte „in Gnaden“ - das wahre Heil finden lässt. Sie selbst sei dabei auch nur ein Rädchen, wenn auch ein etwas weniger kleines, welches aber doch nur ihre Schuld und Pflichtigkeit vor Gott getan habe! Ihm gebühre Ruhm und Ehre – sie selbst will Ihm nur bescheiden dienen!
e) Sollen wir nun angesichts einer solchen abgrundtiefen Demut, welche die Muttergottes besessen und dann eben entsprechend an den Tag gelegt hat, nicht vor lauter Scham in Grund und Boden versinken (wollen), wenn wir auf diesem Gebiet an unsere eigene Einstellung denken? Wie oft geben wir den Versuchungen zur (wenn vielleicht auch nur geringen) Überheblichkeit und manchmal vielleicht sogar auch etwas größeren Selbstüberschätzung nach? Wie häufig schreiben wir uns in unserer geistigen Blindheit etwas zu voreilig und zu bereitwillig gewisse Verdienste zu, und „vergessen“ dabei, zunächst einmal bzw. hauptsächlich Gott dafür die Ehre zu geben und unseren aufrichtigsten Dank auszusprechen? Denn Er war und ist es ja immer, der uns mit Seiner Gnade und Seinem Erbarmen zuvorkommt, damit wir überhaupt jene Leistungen erbringen können!
Und wie zahlreich sind jene Fälle in unserem Leben, in welchen wir uns über ein bescheidenes gesundes Maß hinaus, also zu sehr, über anerkennende Worte (für vielleicht sogar tatsächlich erbrachte positive Leistungen) geschmeichelt fühlen und uns im Vergleich zu den anderen bzw. uns umgebenden Menschen für etwas Besonderes halten und uns dann daraus im verkehrten Stolz eigenmächtig die Berechtigung zu gewissen Auszeichnungen, Rechten, Vollmachten oder Privilegien zuschreiben? Statt Gott und der uns jeweils geweihten guten Sache weiter demütig und bescheiden zu dienen, heben wir unsere Nase hoch bzw. stellen uns selbst eigenmächtig auf einen bestimmten Sockel hinauf, was wir als Jünger Jesu und geistige Kinder Marias aber niemals machen dürfen.
So verlieren wir dann zunächst einmal in persönlicher Hinsicht unter Umständen sogar nicht nur ganz wenig an den geistigen Früchten, welche wir vorher in demütiger Mitwirkung mit der göttlichen Gnade vielleicht tatsächlich für das Himmelreich sammeln konnten, und sinken dabei logischerweise in unserer Beziehung zu Gott signifikant herab. Darüber hinaus untergraben wir dann leider auch oft die Wirkung unserer an sich positiven Aktivitäten nach außen, weil wir ja dann durch unseren Stolz das Wirken der Gnade Gottes in und durch uns aktiv behindern. Denn wie es die Muttergottes formuliert: „Er verwirft die Herzen voll Hochmut. Gewalthaber stürzt Er vom Thron, Niedrige hebt Er empor. Hungrige erfüllt Er mit Gütern, Reiche lässt Er leer ausgehen.“ (Lk 1,51-53).
Eifern wir also dem Lebensbeispiel Marias nach! Sie hat sich in persönlicher Hinsicht voll innerster Überzeugung für klein und unbedeutend gehalten. Vielleicht ist sie dann von Gott auch gerade deswegen zur Mutter des göttlichen Erlösers und somit zur Muttergottes erwählt worden. Erkennen auch wir unsere Niedrigkeit und Unwürdigkeit vor Gott und halten uns persönlich grundsätzlich nicht für besser, klüger oder würdiger - im Vergleich zu anderen Menschen. Verbauen wir nicht auf diese selbstzufriedene Weise unseren tiefen geistigen Hunger nach dem übernatürlichen Mehr, sondern suchen immer bewusst und selbstkritisch zuerst und vordergründig die göttliche Wahrheit und Gerechtigkeit.
Dann dürfen wir - wohl wie Maria zum Zeitpunkt der Verkündigung durch den Erzengel Gabriel - ebenso voll christlicher Zuversicht hoffen und vertrauen, dass die Gnade Gottes uns bei allem, wozu Er uns auf rechte Weise auch berufen mag (und keinesfalls wir selbst selbstsüchtig und somit auch wohl voll Selbstüberschätzung danach trachten!), uns bei all den Höhen und Tiefen des Lebens stärken, tragen, schützen und trösten wird! Auch eine schwere Prüfung, sollte sie uns begegnen, wird uns dann nicht aus der Bahn werfen, sondern noch weiter unseren aufrichtigen Willen, Gott zu dienen, läutern und intensivieren. Denn gerade am Beispiel der leidenden und schmerzerfüllten Muttergottes hat es sich bewahrheitet, dass das Gold im Feuer nur weiter geläutert wird, damit es dann einen umso stärkeren „Glanz“ zum Ruhm und selbstlosen Verherrlichung der göttliche Liebe und Barmherzigkeit abgibt!

P. Eugen Rissling

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